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Weihnachtliche
Geschichten
(Yak-Baby) - 4. Forts.
(geschrieben
von Corinna)
Eliza
fiel eine junge Frau auf, die ein unförmiges
Fellbündel umgeschnallt hatte, das sie ab und
an vorsichtig zurechtrückte. Bei näherem
Hinsehen stellte sich heraus, dass sich darin ein
festverschnürtes Baby befand, das nicht älter
als 4 Monate sein konnte. Seine Gesichtszüge
und Haare wirkten im Gegensatz zu denen der älteren
Tibeter noch weich und fein, und Eliza konnte in den
nächsten Tagen den Blick nicht von den beiden
wenden.
Das Baby wurde selten ausgepackt, schrie praktisch
nie und schien völlig zufrieden damit zu sein,
an der Brust seiner Mutter zu hängen und den
Gesprächen in der näheren Umgebung zu lauschen.
Es war ein friedliches Bild, und Eliza und die junge
Tibeterin lächelten sich bisweilen voller gegenseitiger
Sympathie zu, wenn die anderen schliefen oder ihren
Gedanken nachhingen.
Nachts machten sie halt an barackenähnlichen
Unterkünften, an deren Wänden gefrorene
Yakteile hingen. Das Glas der Fenster war zerbrochen
und schlotternd hüllten sie sich auf den Lagern
in ihre Minus-20-Grad-Schlafsäcke, während
die Tibeter Teppiche und Felle ausbreiteten und dabei
dichte Staubwolken erzeugten.
In Tinggri, dem bislang trostlosesten Punkt ihrer
Reise auf über 4000 m Höhe, ging es Eliza
nicht gut. Sie spürte die Höhe, hatte Kopfschmerzen
und ihr Magen rebellierte gegen den Geruch des ranzigen
Buttertees und des Yakdungfeuers, doch wohl wissend,
dass keine Hilfe von außen in Sicht war, half
sie sich selbst - wie immer.
Aus dem alten Kletterrucksack ihrer Jugendjahre fischte
sie die Notration Laphroaig, sie sie immer mit sich
führte, sowie eine Ritter-Sport-Vollmilchschokolade.
Damit ging sie nach draußen, in die schneidende
und windige Kälte, lehnte sich an die verrosteten
Überreste eines VW-Busses, der hier irgendwie
gestrandet war und fragte sich, was geschehen würde,
wenn sie selbst hier stranden würde ... der Höhenkrankheit
zum Opfer gefallen ... unbekannter Virus raffte sie
dahin .. sie konnte die Schlagzeilen vor ihrem geistigen
Auge schon lesen. Glücklicherweise dauerten derartige
Anfälle bei Eliza nie lange, und nach entsprechendem
Whiskey- und Schokoladen-Konsum begann sie, die Welt
um sich herum mit anderen Augen zu betrachten.
Um sie herum erstreckte sich eine triste Einöde,
umrahmt von bräunlichen Hügeln, deren jeder
über 5000 m hoch war. Von den tiefblauen Seen
und Flüssen, die sie in den nächsten Tagen
staunend erreichen würde, war noch nichts zu
sehen, und die wenigen Farben verblassten mit dem
vergehenden Tageslicht. Doch vor ihr bot sich ein
anderes Bild - in der Ferne erhob sich in symmetrischer
Majestät der Mount Everest. In der Sprache der
Menschen, die auf der nepalesischen oder tibetischen
Seite aus mit diesem Berg lebten, hieß er Chomolungma
oder Sagarmatha, die heilige Mutter.
Eliza hatte gehört, dass der Berg von Tinggri
aus über das Rongbuk-Kloster in einem Seitental
gut zu erreichen war, doch auf diesen Anblick war
sie nicht gefasst gewesen. Er schien in seiner weißen
Pracht ein Gesicht zu haben, und sie konnte das Volk
verstehen, das ihm magische Kräfte zusprach.
Eliza stand noch eine ganze Weile dort, bis sie sich
schließlich getröstet und mit neu erwachendem
Tatendrang zu ihren tibetischen Freunden ans Dungfeuer
begab und schwesterlich den Whiskey-Rest mit ihnen
teilte.
Am
nächsten Tag, dem Morgen des 24. Dezember, teilte
Jitman ihnen mit, dass sie heute den höchsten
Punkt ihrer Reise erreichen würden. Der Arniko-Highway
überwand auf seinem Weg über den Hauptkamm
des Himalaya-Massivs einige Pässe, deren höchster,
der Tong-La, bis auf 5400 m Höhe führte.
La heißt Pass und Eliza dachte unwillkürlich
an Shangri-La, den paradiesischen Ort der Legende,
der von so manchem Erzählern hier im Himalaya
vermutet worden war. Sie selbst stellte sich Shangri-La
zwar mindestens 30 Grad wärmer vor, aber was
wusste man schon ...
Bislang hatten alle Teilnehmer der Reisegruppe die
Höhe den Umständen entsprechend gut verkraftet.
Die Fahrt werde wieder anstrengend werden, sagte Jitman,
da der Bus zusätzlich zur Höhe auch eine
sehr große Distanz überwinden müsse,
doch sie seien inzwischen akklimatisiert genug, um
dies gut wegzustecken, sie dürften nur das Trinken
nicht vergessen.
(Forts. folgt
HIER)
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