Weihnachtliche Geschichten


(Die S-Bahn nach Starnberg) - Forts.

München, der 18. Dezember 2004. Wieder tritt Daniel aus dem Hintereingang der Münchener Reithalle, soeben hat er sein zweites Unplugged-Konzert erfolgreich hinter sich gebracht. Die Menge hat getobt und ihn erst nach vier Zugaben von der Bühne gelassen, und jetzt fühlt er sich so richtig gut und ausgepowert. In einer halben Stunde wird er von seinen Freunden in einem kleinen Café in der Münchener Innenstadt erwartet, aber irgendwie ist ihm schon wieder nicht nach Autofahren. Ihm geht die Geschichte des jungen Mädchens nicht mehr aus dem Kopf, das er gestern Nacht noch in der kleinen Pension in Starnberg abgeliefert hat, ihr Schicksal hat ihn tief berührt. Irgendwie ist ihre Geschichte Stoff für einen Song, und in Gedanken beginnt er bereits damit, nach passenden Worten zu suchen. Leise vor sich hin summend fährt er mit der Rolltreppe in die Tiefe, gerade als eine Bahn mit lautem Getöse in den Bahnhof einfährt. Daniel beginnt zu rennen. Hoffentlich ist das diesmal aber auch die richtige Bahn! Gestern hatte er von Starnberg ein teures Taxi nehmen müssen, weil die letzte Bahn in Richtung Innenstadt natürlich schon längst abgefahren war.

Auf dem Bahnsteig steht wieder der gleiche Bahnwärter wie am Abend zuvor. Daniel eilt auf ihn zu und muss sich zusammen nehmen, um den Ärmsten nicht gleich anzuschreien.

„He, Sie da! Ist das die Bahn in die Innenstadt?“

Der Wärter guckt ihn verdutzt an.

„Die Innenstadt, Mann! Gestern haben Sie mich in die Bahn nach Starnberg gesetzt, aber das war die komplett falsche Richtung! In die Innenstadt will ich, nicht nach Starnberg!“

Der Wärter lächelt ihn jetzt an. „Ja, Innenstadt. NICHT nach Starnberg.“ Einladend zeigt er auf die gerade geöffneten Türen des nächsten Waggons. „Innenstadt“, murmelt er dabei noch einmal vielsagend.

Daniel schüttelt nur den Kopf und springt in letzter Sekunde in die sich in diesem Moment schließenden Türen. Geschafft!

Erschöpft lässt sich der junge Sänger auf den nächstbesten Sitzplatz sinken. In letzter Minute! Heute freut er sich auf die Feier! Es war sein letztes großes Event in diesem Jahr, und ab morgen kann er sich ganz seinem Privatleben widmen, seinen Freunden, seiner Familie… den Weihnachtsbaum schmücken mit seinen Geschwistern, und wie immer auf die letzte Minute noch ein paar Geschenke einkaufen.

Aber was ist, wenn ihn dieser verrückte Bahnwärter wieder in den falschen Zug gesetzt hat? Der Alte wirkte, als habe er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Sicher ist sicher, also stupst Daniel den älteren Herren neben sich an: „Tschuldigung, ist das hier die Bahn in die Innenstadt?“

Der Mann guckt ihn etwas verwirrt an: „Innenstadt?“

„Ja, Innenstadt. Wissen sie, ich bin gestern schon einmal hier eingestiegen, und da hat mich dieser merkwürdige Bahnwärter in den falschen Zug gesetzt. Die Bahn fuhr gar nicht in die Innenstadt, sondern nach Starnberg!“

„Starnberg.“ Der Mann schaut jetzt etwas irritiert. Weiß der Junge neben ihm etwa nicht, dass diese Bahn nach Starnberg fährt, und nicht in die Münchener Innenstadt?

„Ja, Starnberg.“ Daniel holt noch einmal tief Luft. Warum er dann einfach weiterredet, weiß er selbst nicht so genau. “War aber nicht so schlimm, denn auf der Fahrt habe ich ein junges Mädchen aus dem Kosovo kennen gelernt…“

„Kosovo!“ Jetzt steigt ein interessiertes Glimmen in die Augen des Mannes. „Ich – ich komme auch aus Kosovo… schönes Land, kaputtes Land…“ plötzlich wird der Alte von einem Weinanfall geschüttelt. „Entschuldigung… so kurz vor Weihnachten… ich fühl mich immer so traurig vor Weihnachten… ganze Familie verloren auf dem Weg nach Deutschland, bescheuerter Krieg…“

Daniel staunt. „Sie haben Ihre Familie verloren? Als Sie nach Deutschland kamen?“ Irgendetwas macht gerade KLICK in seinem Bauch… und plötzlich ist er ganz aufgeregt: „Wann war das? Vor über 10 Jahren etwa?“

Der Mann macht große Augen. „Ja, genau. Vor etwas über 10 Jahren!“

„Und Sie vermissen Ihre Frau, ihren Sohn und ihre Tochter?“

(Forts.
HIER)

 

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