Weihnachtliche Geschichten


Yak-Baby
(geschrieben von Corinna)

Eliza schüttelte den Kopf. Einmal, weil sie die bleierne Müdigkeit vertreiben wollte, die immer wieder von ihr Besitz nahm, und zum andern, weil sie nicht wirklich glaubte, was ihr gerade zustieß.
Sie befand sich in einem altersschwachen Bus, dem diverse Fenster fehlten, und der sich eben im Schneckentempo eine schmale gewundene Straße hinaufquälte - die Straße nach Tibet, zum Dach der Welt.
Eliza hatte diesen Trip nicht geplant, als sie vor einer Woche in Nepal gelandet war. Sie wollte einen Freund aufsuchen und Entspannung suchen von dem aufreibenden Leben in L.A., doch der Freund war nicht aufzufinden.
Danach gab es diverse Gründe, die die Fahrt in dieser Klapperkiste von Bus notwendig machten, momentan wollte ihr allerdings kein einziger mehr einfallen – abgesehen von ihrer Begleitung, die mit ebenso gottergebenem Gesichtsausdruck wie sie selbst das Gerüttel hinnahm.
Der Gedanke an sie zauberte ein warmes Lächeln auf ihr Gesicht. Vor einigen Tagen hatten sie sich kennengelernt, mitten in Kathmandu, und waren seitdem unzertrennlich. Jetzt befanden sie sich zusammen auf dem Weg nach Lhasa und bislang war es in jeder Hinsicht mehr als ein Abenteuertrip gewesen.
Als klar wurde, dass sie nach Tibet gehen wollten, hatte ihnen jemand den Tipp mit MAYA-Trekking gegeben, einer kleinen Agentur, die auch preiswerte Überlandtouren von Kathmandu nach Lhasa (und hoffentlich auch zurück) durchführte.
Zunächst ließ sich alles ganz komfortabel an. Ein moderner Kleinbus beförderte die 9 Mitglieder ihrer Reisegruppe zur chinesischen Grenze in Zhang Mu, dem Grenzort zu Nepal. Hinter Zhang Mu warteten die wirklichen Berge – und einiges mehr.
Doch zunächst ging es noch in gemächlichem Tempo auf der bevölkerten Landstraße dahin, mit einer Unterbrechung in einem namenlosen Nest irgendwo im Mittelalter. Die Herberge, die sie aufsuchten, hatte den schmuddeligen Charme einer frühen Autobahnraststätte - kleine Schweine liefen durch den Gastraum, die fröhlichen Kleinkinder des Hauses trugen praktische Hosen mit Schlitz auf der Rückseite und der Milchtee, den man allerorten als Nationalgetränk konsumierte, wies eine verblüffende Ähnlichkeit mit Abwaschwasser auf.
Das alles focht sie nicht an, sie waren in Hochstimmung – Tibet ist für viele Menschen ein Traum, der auf seltsame Weise die Annäherung der Gegensätze und Aufhebung von Zwistigkeiten einschließt. Irrational, gewiss, doch zweifellos vorhanden, und so auch bei den 9 Reisenden, die sich 3 Tage vor Weihnachten auf die Reise in dieses Land begaben. Der Schnee war noch nicht gekommen und so war der Weg frei auf das tibetische Hochplateau, allerorten mindestens 3500 m über dem Meeresspiegel, und jetzt im Winter ebenso kahl wie faszinierend.

An diesem ersten Tag ihrer Reise ging es jedoch noch durch üppiges Grün, in einem Klima, das dem in L.A. zu dieser Jahreszeit sehr ähnelte, und entsprechend gedieh die Vegetation. Meterhohe Weihnachtssterne bildeten mit ihrer frischgewaschenen Röte einen scharfen Kontrast zu dem von Abgasen ungetrübten Himmel, die Farben leuchteten wie bei uns an einem klaren Herbsttag.

(Forts.
HIER)

 

© Danielwelt 2004 Zur Danielwelt-Startseite Zum Danielwelt-Forum Impressum