Weihnachtliche
Geschichten
Ein Herz
(geschrieben von Mia)
Langsam
wurde es Abend.
In der Kälte schwebte mein Atem wie eine kleine
Wolke vor mir her, während ich gleichmäßig
weiterlief und dem beruhigend monotonen Geräusch
der Schlittschuhe zuhörte.
Die Farben des ausklingenden Wintertags waren wunderschön.
Eine Himmelsmelange aus cremeweiß und zartgelb,
aus flieder, altrosa, orange, lachsfarben und violett.
Pastellgetauchte Wolken türmten sich am Horizont.
Noch trotzte die Sonne der dunklen Nacht mit glühendem
Farbenspiel.
Buntgolden schimmerte auch die Eisfläche vor
mir. Seit zwei Stunden war ich auf der Wiese, die
vom Regen überspült worden war und nun nach
dem letzten Frosteinbruch eine wunderbar glatte, große
Kufenfläche bot. Kaum einer kannte die Stelle
und doch lag sie unweit der nächsten Siedlung.
Ich konnte meinen Gedanken nachhängen und durfte
wieder, nach all der Traurigkeit der letzten Zeit,
spüren, dass die Natur eine Schönheit hat,
die tröstet.
Also ließ ich mich umhüllen von der farbigen
ruhigen Welt, während ich Kurven und Kreise fuhr,
rückwärts und vorwärts glitt, Fußwechsel
machte und kleine Drehungen.
Ich
hatte Menschen verloren und Liebe verloren.
Ich hatte mich so verzweifelt gefühlt und einsam.
Verletzt, ängstlich, unfähig, ungeborgen
und nicht mehr funktionierend. Hilflos im schnellen
Strom des Lebens. Meine Seele hatte geschmerzt und
geschmerzt und geschmerzt. Ziehend, nagend, kraftraubend
und allgegenwärtig. Ich war so müde davon.
Ich wollte die Situation verlassen, doch ich konnte
nicht. Ruhelos wie ein gefangenes Tier sehnte ich
mich gleichzeitig nach nichts anderem als einer Pause.
Und
dann kam irgendwann Weihnachten. Das Konsumfest. Das
Angstfest für alle, denen es sowieso schon schlecht
geht.
Doch
dieses Weihnachten brachte mir eine Ahnung von Freude
zurück. Ich weiß nicht, ob es an Weihnachten
lag oder ob es Zufall war, dass der Selbstheilungsprozess
meiner Seele für mich spürbar wurde. Dass
ich wieder erste kurze Momente inneren Friedens hatte.
Auf jeden Fall half dieses kleine Paket.
Ich
hatte mich zur Teilnahme an einer Weihnachtsfeier
in der Nachbarschaft überreden lassen und für
das Spiel des Geschenkeaustauschs dort eine kleine
bemalte Porzellanschale in Goldpapier gewickelt.
Nach Kuchen, Glühpunsch und Gesprächen auf
dieser Feier zog auch ich mein Geschenkelos. Ich bekam
eine kleines Päckchen in zitronengelbem Frühlingspapier,
dekoriert mit einer kleinen roten Seidentulpe. Ich
musste lächeln über diese Eigenwilligkeit.
Ich hielt es einen Moment in der Hand und fragte dann
leise in die Runde, ob es dem mir unbekannten Schenkenden
recht wäre, dass ich es zuhause auspacke ? Ich
fände das Geschenk sicher wunderbar.
Da jeder freundlich schaute, nahm ich das als Zustimmung
und ließ dieses hübsche schwarze, nein
gelbe "Schaf" unter den traditionell gestalteten
Weihnachtspräsenten in meine Tasche gleiten.
Zuhause
öffnete ich es. Eine hellgrüne Schachtel
kam zum Vorschein, darin ein transparentes rotes Glasherz
mit einem kleinen Brief dabei. In dem Brief stand:
"Ich schenke dir hiermit die Liebe, die du gerade
brauchst. Sie soll für dich der Frühling
sein im allertiefsten Winter."
Mein
eigenes Herz klopfte und ich musste eine Träne
wegzwinkern.
Ich nahm das Glasherz in die Hand und spürte,
wie die Kühle des Materials wich und das Glas
die Wärme meiner Hand annahm.
Ich würde meine Eisfläche gleich verlassen
müssen, die Nacht brach herein.
Doch wie die Sonne die Nacht beherrscht, beherrscht
Liebe schließlich die Angst.
Und
ein frühlingshaftes Päckchen kann das weihnachtlichste
von allen sein.
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